Von comadmin auf Donnerstag, 22. Mai 2025
Kategorie: IT News

Europäischer Polizeikongress: Ermittler brauchen KI und "Small Data"

Die Nutzung von "Big Data" ist im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen umstritten – neu in der Diskussion ist hingegen "Small Data". Die Probleme scheinen aber im Grunde dieselben und Polizisten und Datenschützer sind sich oft uneins. Das zeigte sich bei einer Debatte über den Technologieeinsatz in Polizeien beim 28. Europäischen Polizeikongress in Berlin.

Carolina Stindt von der Unternehmensberatung PwC stellte eine Studie auf der Grundlage von Interviews und Gesprächen mit Mitarbeitern der Polizei vor. Demnach ist der Technologieeinsatz in traditionellen Bereichen wie Videoüberwachung, Grenzkontrolle und Vorgangsbearbeitung vergleichsweise etabliert. Neuere, insbesondere KI-gestützte Technologien würden jedoch in Deutschland "häufig nur zaghaft und pilotartig" in einzelnen Bundesländern und Polizeibehörden eingesetzt. Die Rahmenbedingungen, so Stindt, seien oft "vor-digital" und die allermeisten Interviewpartner hätten gesagt, "dass gerade diese Technologien wichtig wären, um die Datenerfassung und -auswertung effizienter zu gestalten und insbesondere Muster besser zu erkennen". Stindt verwies aber auch darauf, dass gerade datenbasierte Entscheidungen in der Bevölkerung immer noch auf große Skepsis stießen.

Andreas Stenger, Präsident des LKA Baden-Württemberg, fand offene Worte. Er sieht den Status quo der Ausstattung in den Polizeien kritisch: Die IT-Landschaft sei heterogen, manche Bundesländer seien weit, andere nicht, die Technik zum Teil veraltet, Infrastruktur marode, Glasfaser problematisch, Automatisierungsprozesse teils schwierig umzusetzen, weil es an der Infrastruktur krankt. Das Hauptproblem für ihn als Praktiker sei die langsame Umsetzung im Zuge der Saarbrücker Agenda. Mit einem kleinen Seitenhieb auf drei der Diskussionsteilnehmer (inklusive Moderator), die beim Beratungshaus PwC arbeiten, regte er "mehr Governance und weniger externe Beratung" an.

Für Gerald Eder, den fachlichen Leiter des "Programm 20" zur Digitalisierung der Polizei, ist die heterogene Ausgangssituation in einem föderalen Staat die größte Herausforderung. Schon bei der Frage, welcher Beamte zu welchen Informationen Zugang habe, sei der Abstimmungsprozess gigantisch. Man stecke in einem Dilemma, so Eder: Derzeit habe man teils "tolle Daten", die aber nicht verfügbar seien, weil es die entsprechenden Regelungen dafür noch nicht gebe. Als Beispiel führte er den Attentäter von Magdeburg an – die mit dem Fall befassten Ermittler hätten bloß Daten aus Sachsen-Anhalt gesehen, nicht aber die bundesweit zum Täter erfasste Datenmenge.

Die Publizistin Anke Domscheit-Berg, ehemaliges Linken-MdB, gab zu bedenken, dass es immer um Balance gehe und verwies auf das Bundesverfassungsgericht. Das verlange Abwägungen: Ist eine Maßnahme überhaupt nachweislich geeignet, um ein Problem zu lösen? Und wenn sie geeignet ist, aber einen Eingriff in die Grundrechte bedeute: Kann man sie durch eine andere Maßnahme ersetzen? Und ist die Maßnahme angemessen, also stehen die "Nebenwirkungen" in einem Verhältnis zum erwartbaren Nutzen? "Das funktioniert in der Praxis ganz oft ganz schlecht", konstatierte Domscheit-Berg.

Dazu komme, dass man in der Politik immer wieder Fehler wiederhole. So etwa beim Problem der sexualisierten Gewalt gegen Kinder. Da habe sich die Chatkontrolle als ungeeignet erwiesen, etwa durch eine hohe Fehlerquote aufgrund falsch positiver Treffer durch Sexting unter Jugendlichen. Domscheit-Berg forderte stattdessen mehr Prävention. Bei einer Anhörung im Digitalausschuss habe ein Staatsanwalt aus NRW berichtet, "dass bei ihnen Beweise auch drei Jahre rumliegen, bevor sie erstmalig gesichtet werden." Wieso, fragte Domscheit-Berg, rede man über KI, "wenn die einfach nicht genug Leute haben?"

Nach Ansicht von Peter Beuth, PwC, benötige die Polizei mehr Daten und müsse vorhandene Daten besser auswerten, vor allem für die Gefahrenabwehr, die Königsdisziplin. Vor allem benötige sie Technik, um Daten verknüpfen zu können – das sei nur mit KI möglich und nicht manuell, dafür gebe es nicht genug Beamte. Man müsse vorhandene Daten, Small Data, verknüpfen. Allerdings nicht nur Small Data, sondern auch Big Data, so etwa für die Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen, wo sich Menschenmassen bewegten: "Big Data wird es für eine erfolgreiche Polizeiarbeit auch in Zukunft geben müssen", konstatierte Beuth.

Andreas Stenger zeigte sich überzeugt, dass es wesentliche Grundvoraussetzungen schon gebe, um moderne Technologie sicher zum Einsatz zu bringen, andererseits natürlich auch Hemmnisse durch den Föderalismus: So etwa würden manche Landesbeauftragte für Datenschutz den AI-Act unterschiedlich beurteilen, da wünsche er sich eine bundesweite Harmonisierung. Als Beispiel nannte Stenger Gesichtserkennungssoftware: Die wird beim BKA und dem LKA Baden-Württemberg genutzt. Die Ausbildung für die Personenerkennung dauere bei Menschen drei bis fünf Jahre; mit einer KI habe man die Fehlerquote von 30 auf unter einem Prozent senken können. Außerdem gehe es schneller, auch wenn ein forensischer Sachverständiger letztlich die Entscheidung treffe und vor Gericht vertrete.

Die unterschiedlichen Ansichten wurden in der Debatte deutlich. Da ging es unter anderem um das mutmaßliche RAF-Mitglied Daniela Klette, die von Journalisten mit einer Gesichtserkennungssoftware ausfindig gemacht wurde. Braucht die Polizei solche Technik? Dürfte sie die nutzen? Domscheit-Berg verwies darauf, dass manche Dienste in Europa illegal seien, Menschen täten Illegales, aber von Machtinstitutionen erwartet sie, das zu unterlassen. Bei solchen Themen scheint die Polizei in einer Zwickmühle zu sitzen: Nach der Festnahme von Klette sei Häme über die Polizei ausgeschüttet worden, so Stenger. Da hätte er sich eine Klarstellung gewünscht: "Wir haben aus historischen Gründen kein Reichssicherheitshauptamt."

Der 28. Europäische Polizeikongress fand vom 20. bis 21. Mai 2025 in Berlin statt. Über 2300 Teilnehmer und 230 Referenten informierten sich in zahlreichen Vorträgen, Fachforen und Diskussionsrunden.

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(Ursprünglich geschrieben von Heise)
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