SMS-Nachrichten abfangen und so WhatsApp-Konten übernehmen? Genaue Bewegungsprofile beliebiger Ziele im In- und Ausland? Anrufe abhören und Daten umleiten? All das ermöglichte das Unternehmen "First Wap International" wohl seinen Kunden, wie eine gemeinsame Recherche von zahlreichen Medien – darunter der Spiegel und das ZDF – unter Federführung des Recherchekollektivs Lighthouse Reports ergab. Das Produkt mit dem mystischen Namen "Altamides" nutzte das SS7-Protokoll (Signalling System 7), um sich in Mobilfunknetze einzuklinken. Alles nur ein Missverständnis, wiegelt das indonesisch-österreichische Unternehmen ab, doch die Fallzahlen gehen in die Tausende.
Auf der Spionage- und Sicherheitsmesse "ISS World" präsentierte sich das Unternehmen – Eigenschreibweise "1stWAP" – mit einem eigenen Stand. Der offensichtlich KI-generierte Standhintergrund stilisiert eine Hand, die nach Daten greift – davor führt der österreichische Vertriebsdirektor Günther R. ein offenes Gespräch mit einem Interessenten. Der direkte Zugriff auf Mobilgeräte, den der angeblich im Auftrag eines westafrikanischen Bergbauunternehmers Anfragende im Sinn hat, sei zu teuer, koste oft Zehntausende. Er sollte seine Vorgehensweise überdenken.
Dann kommt "Altamides" ins Spiel. Das Produkt des Unternehmens – der Name stammt nicht aus dem griechischen Pantheon, sondern steht für "Advanced Location Tracking and Deception System" – könne etwa selektiv Nachrichten wie OTP-Codes ausleiten und so die Übernahme beliebiger Messengerkonten erleichtern. Möglich sei das über Zugriff auf das sogenannte SS7-Netzwerk, mit dem sich Telefonnetzbetreiber weltweit miteinander verbinden. Man sei vermutlich das einzige Unternehmen, das mithilfe dieser Technologie das Vorhaben des Interessenten umsetzen könne. Der wollte nämlich im Auftrag eines unter internationalen Sanktionen stehenden Minenunternehmers Umweltschützer überwachen lassen, erklärte er den First-Wap-Vertrieblern.
Doch das war nur eine Legende, erdacht von einem internationalen Team investigativer Journalisten. Das war First Wap durch eine Sammlung von mehr als einer Million Überwachungsdatensätzen auf die Spur gekommen, mit mehr als 14.000 Betroffenen weltweit. Die meisten Überwachungsvorgänge datierten in die Frühzeit der Smartphone-Ära zwischen 2007 und 2014, doch First Wap ist noch immer aktiv. Auch interne E-Mails und Dokumente des Unternehmens fielen den Reportern in die Hände und zeigten: First Wap arbeitete offenbar mit autoritären Staaten und Auftraggebern aus der Industrie zusammen. Das widerspricht dem allgemeinen Narrativ der verschwiegenen Branche, das lautet: Nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und ausschließlich für Regierungen stünden die Überwachungswerkzeuge zur Verfügung, in der Vergangenheit ans Licht gekommener Missbrauch sei eine unrühmliche Ausnahme.
Doch "Abdou", der Auftraggeber aus dem westafrikanischen Niger, ist von den Technologie-Exportbeschränkungen gegen das Land betroffen, daher schlug der umtriebige Vertriebsdirektor den Undercover-Journalisten einen Kunstgriff vor. Bei derlei Geschäften, so der Österreicher, müsse er Vorsicht walten lassen, um nicht im Gefängnis zu landen. Daher könne man den Deal über die indonesische Hauptstelle abwickeln, der aus Indien stammende Geschäftsführer unterliege nicht denselben Beschränkungen und könne alles abzeichnen.